Nach all den Lebensjahren und den vielfältigen Lebenserfahrungen den Anfängergeist aktivieren: Was ist das denn für eine Idee? Manchem mag es seltsam vorkommen, wenn ich mir als Erwachsene mental einen Zustand erlaube, indem ich noch nicht alles weiß und bereit bin, die Dinge wie zum ersten Mal zu erleben. Anfänglich ist das auch ungewohnt, befremdend und möglicherweise etwas unheimlich.
Wir sind halt anders konditioniert. Uns wurde beigebracht, unser Leben und die Alltagsabläufe zu optimieren. Die Zeit wird von der Uhr erfasst, gemessen und eingeteilt. Das Ziel ist, möglichst effizient mit den verfügbaren Ressourcen – der vorhandenen Zeit – umzugehen. Das findet sich auch im Sprachgebrauch wieder: Zeit muss genutzt oder gespart werden und darf nicht vergeudet werden.
Die Listen mit zu den erledigenden Aufgaben werden immer länger. Wehmütig denke ich manchmal an Zeiten zurück, in denen es noch gar keine Emails gab. Es ist zwar schon etliche Jahre her. Bei mir kam das Internet 1998, also vor 19 Jahren. Doch ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass Verabredungen persönlich oder am (Haus-)Telefon getroffen wurden. Die Abende waren komplett laptop- und smartphonefrei. Es gab einfach viel mehr direkten Kontakt mit Freunden anstatt der Kurznachrichten über Facebook usw. Das hatte noch etwas unverkrampft Entspanntes. Heutzutage vergeht kein Tag, ohne Emailchecken und Emailbeantworten. Doch das nur am Rande.
Die in uns eingepflanzten Programme, so nenne ich jetzt mal das, was unsere Erziehung mit uns veranstaltet hat, bewirken eine ständige Hast, die uns in die Zukunft ausgerichtet denken lässt. Die meisten Menschen sind beeinflusst von der Vorstellung, weiter oder anders sein zu sollen. Das Gefühl, mit dem eigenen Leben hinter den eigenen Ansprüchen zurückzuliegen, nagt. Jeder hat da wohl etwas, was geplant war, im Leben zu erreichen und was noch nicht eingetreten ist. Hast Du den Traumjob, Partner, Kinder, Haus, Auto, Garten, die Welt bereist etc.? Dieses „Wohinwollen“ hält uns davon ab, das Leben jetzt zu spüren und es jetzt, so wie es ist mit all dem bislang Unerreichten, als qualitativ hochwertig zu empfinden.
Interessant ist doch, Dich mal zu fragen: Wo kommen diese Bilder von Dir selbst, wie Du sein solltest, her? Kann es sein, dass Dein Seelenplan ein ganz anderer ist und Du mit dem, was bislang war, bestens in der Zeit liegst? Möglicherweise passt das, was Du Dir in vollster Klarheit im Seelenzustand für diese Inkarnation vorgenommen hast, überhaupt nicht zu den gesellschaftlichen Erwartungen, die verinnerlicht wurden?
Von kleinen Kindern und Tieren können wir so viel darüber lernen, wie beglückend und wertvoll es ist, ein Beginner zu sein. Zugegeben: Kinder sind Anfänger und machen das, was sie tun ganz natürlich. Doch wenn Du mit einem Kleinkind Zeit verbringst oder einen Ausflug machst, fällt sofort auf, dass jedes Detail besonderes aufmerksam wahrgenommen wird. Geräusche von Autos, einem Zug oder Flugzeug, ein piepender Vogel, jeder Hund, der vorbeikommt, wird ausgiebig beobachtet und lautstark begrüßt: „Ein Hund!“ Kleine Kinder können das so schön. Einen Hund, der gerade auftaucht, wie den ersten und einzigen Hund ihres Lebens sehen.
Die Tiere sind auch ein wunderbares Vorbild für Hingabe an den Moment. Nur was sie jetzt riechen, zählt und ist überhaupt existent. Nur die Freunde, die sie gerade treffen und mit denen sie Nachlaufen und Balgen spielen, gibt es gerade in ihrer Welt. Da kann Frauchen rufen, solange es will. Das Tier lebt in seiner natürlicher Harmonie, in seinem ureigenen Rhythmus und ist allein auf die Gegenwart focusiert.
Woran lässt sich denn überhaupt erkennen, ob Du weiterkommst, auf der Stelle tritts oder alles „in-time“ geschieht? Besonders hilfreich ist da eine umfangreiche Entgiftungskur von all den Medien/Publikationen, die uns in Endlosschleife den wahren Traum vom Leben in den Kopf und die Seele zu hämmern versuchen. Gemeint sind natürlich TV, Zeitschriften, Illustrierte, Werbung usw., und auch Menschen, die völlig eingenommen von dieser Infiltration leben.
Es braucht sehr viel Mut, zu sich selbst zurückzukehren und das ganz Eigene zu leben. Der Atem ist dabei immer eine Brücke. Mit einem bewussten Atemzug kannst Du sofort in die Wahrnehmung finden und vom Denken zum Fühlen gehen. Wenn Du die Effizienz Effizienz sein lässt und Dich traust, Dir Zeit zu nehmen, lenkst Du Deine Wahrnehmung in die Gegenwart. Dann wäschst Du z.B. nur Dein Obst wie zum ersten Mal: Den Apfel, die Birne, die Kirschen, Erdbeeren und Heidelbeeren für einen leckeren Fruchtjoghurt zum Frühstück, ohne über etwas anderes nachzudenken. Der Anfängergeist kann das.
Du brauchst Mut, um nicht durch Dein Leben zu rennen und Deinen eigenen Weg zu gehen. „Und ich gehe meinen Weg“ ist übrigens ein schöner Song. Anhören lohnt sich! Auch wenn es im Mainstream angekommen ist, vielleicht bereits zu oft gesagt oder geschrieben wurde und es viele nicht mehr hören können, ist es trotzdem wahr. Was willst Du sonst tun, als Deinen Weg gehen? Und so einfach ist es gar nicht, wenn sich Dein Weg sehr von dem, was die meisten machen, unterscheidet.
Du brauchst Mut. Den Mut, das zu tun, was Dir entspricht, was Dir gefällt, was Du magst und was Deine (Seelen-)Aufgaben sind. Mit dem Vergleichen aufzuhören, erleichtert enorm, die eigene innere Stimme deutlich zu hören und die Wegweiser lesen zu können.
Das Vertrauen – das Vertrauen in Dich und ins Leben selbst – gibt Dir den Mut zum Anfängergeist.
Mit herzlichen Grüßen
Eure Regine Göttert
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Diesen Text schrieb Dipl. Psych. Regine Göttert © – www.regine-goettert.de – Psychotherapie/Coaching/Spiritualität.
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