Wie sehr freuen Sie sich darauf, älter zu werden? Da dürften wahrscheinlich die meisten doch eher ein skeptisches Gesicht machen und möglicherweise ausweichend antworten. Älter zu werden hat in unserem Kulturkreis wirklich kein gutes Image. Vor allem die Frauen sind von den Nachteilen des Älterwerdens besonders betroffen und unternehmen zumeist enorme Bemühungen, die optischen Anzeichen des Älterwerdens und -seins zu vertuschen. Neben Kosmetik und junger Mode sind seit etlichen Jahren Operationen im Trend. 60jährige Frauen sehen nach dem Lifting aus, als seien sie 10 bis 20 Jahre jünger. Damit werden Erwartungshaltungen und Druck für alle erzeugt, was sich auf jede Frau und jeden Mann auswirkt. Sogar die Kinder sollen sich heute lauf Befragungsergebnissen schon vor dem Älterwerden fürchten.

Mir fällt auf, dass es sich bei diesen Einstellungen in erster Linie um Äußerlichkeiten dreht und ehrlich gesagt, regt mich diese Verlogenheit auf. Warum ist es bei uns nicht so, wie in anderen Ländern, in denen es selbstverständlich ist, einem älteren Menschen besonderen Respekt zu zollen? Respekt vor seinem Alter, seiner Lebensleistung, seinen Erfahrungen und seinen Qualitäten, die er in den vielen zurückliegenden Lebensjahren umfangreich entwickelt hat?

Älter zu werden ist für JEDEN Menschen die EINZIGE Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Und zu LEBEN ist doch das Wertvolle. Und noch viel entscheidender ist, was jemand mit seinem Leben anfängt. Ich finde es einfach unfair, Menschen für etwas „zu bestrafen“, wofür sie überhaupt nichts können. Älterweden geschieht von Natur aus. Es ist ein zutiefst natürlicher Prozess. Meiner Meinung nach gibt es keinerlei Rechtfertigung dafür, Menschen, nur weil sie älter sind und z.B. Falten haben, nicht mehr zu beachten, sie weniger ernst zu nehmen oder sie gar auszugrenzen oder zu entwerten.

Vielleicht hat mich deshalb so berührt, was ich an meinem letzten Weiterbildungswochenende erlebt habe. Ein Teilnehmer, der lange – ich meine – als Ingenieur gearbeitet hat, ist aktuell 73 Jahre alt und befindet sich als Rentner im „wohlverdienten Ruhestand“. Jetzt hat er allerdings seit einigen Jahren eine besondere Begabung entwickelt und kann viele Dinge, die für die meisten Menschen unsichtbar sind, wie z.B. das Innere des Körpers und die inneren Organe sehen. Zudem verfügt er über besondere Heilfähigkeiten, die er mit der Ausbildung erweitert. Dieser ‚Kollege‘ hat sich nun entschieden, noch einmal ein neues Business – eine Heilpraxis – aufzubauen, Patienten anzunehmen und als Heiler zu arbeiten. Das kostet natürlich Mut und die Bereitschaft, auf etliche Bequemlichkeiten und lieb gewonnene Alltagsrituale zu verzichten. Um so beeindruckender ist seine Entscheidung.

Sie sind so alt, wie Sie sich fühlen. Und wie alt Sie sich fühlen, ist Ihre Wahl und hat viel mehr mit Ihren Überzeugungen zu tun als mit Ihrem Lebensalter. Sie können sich z.B. mit 73 Jahren jung genug fühlen, um einen neuen Beruf anzufangen. Deshalb erzähle ich Ihnen heute von meinem Mitstudenten, weil er ein wunderbares Beispiel dafür ist, dass wir völlig falsche Vorstellung vom Älterwerden haben. Wir brauchen dringend gute Vorbilder: Menschen, die keinen Millimeter von ihrer Verantwortung für sich aufgegeben haben, weil die Jahre vergehen und sie älter geworden sind. Gute Vorbilder sind für mich Menschen, die immer dazugelernt und sich jeden Tag weiterentwickelt haben und mit ihren Fähigkeiten nützlich für andere oder die Gemeinschaft sind.

Und so gesehen wird das Älterwerden immer interessanter und spannender. Es ist für mich eine sehr freudvolle Vorstellung, bis zu meinem letzten Tag zu arbeiten und auf diese Weise mit vielen Menschen in Kontakt zu sein, ständig Neues zu entdecken und etwas Sinnvolles zu tun. Die paar Falten, die mir im Spiegel entgegen gucken, erinnern mich einfach an einen immer reicher werdenden Erfahrungsschatz, der täglich wertvoller wird.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen einen glücklichen Tag und gute Fortschritte beim Akzeptieren Ihres aktuellen Lebensalters – denn, das muss ich auch noch loswerden: Was wir sehen, ist nur das Alter, das jemand in dieser Inkarnation hat. Das wahre Alter, das Alter der Seele und deren Erfahrungen sind noch einmal etwas ganz anderes und viel entscheidender über die Möglichkeiten, die jemand hat. So lassen Sie sich bitte nicht täuschen. Viele sehr junge Menschen sind reife Seelen und jedes Lebensalter – auch das Ältersein – wird als Lernerfahrung gebraucht.

Ihre Regine Göttert

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Diesen Text schrieb Dipl. Psych. Regine Göttert © – www.regine-goettert.de – Psychotherapie/Healing/Coaching/Spiritualität.

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